Sängerfest

Beim Feiern der 100 Jahre, die der Hösseringer Gesangverein „Frohsinn" nun alt werden durfte, fiel es mir abermals auf: Wieviel Mandats-, Funktions- und Würdenträger bei uns im Kreis gleichzeitig Musiker sind, genauer: Sänger. Da ist unser Uelzener Bürgermeister, der längst vor seiner Wahl dazu als Sänger noch bekannter war, denn als Politiker. Immerhin brachte er es zum Ehrenvorsitzenden des Kreissängerbundes. Da ist weiter unser Oberkreisdirektor. Wer hat schon einen OKD, welcher öffentlich (in Sängerkreisen) betont, wie ununterbrochen auch seine Sangesliebe blühte: Kinderchor als Kind, Kantorei, Uni-Chor als Student... In seiner Karriere als Sänger brachte auch er es zu was - zum OKD nämlich, der unter den verschiedenen Musiker- und Sängerrollen bekanntlich jene hat, im Auftrag des Bundespräsidenten die Zelter-Plaketten an verdiente Chöre zu verleihen (was er als liebste Amtshandlung täte, sagte er, öffentlich, in Sängerkreisen). Auch der Uelzener (Noch-) Propst kann sich hören lassen mit der Stimme. Längst nicht selbstverständlich bei den Kirchenmännern, die das (richtige) Singen rollenbedingt oft ihren Kantoren überlassen. Vor allem seit das Fach ,,Liturgisches Singen" ein Nebenfach wurde.

Was ist das nur, diese Häufung von Musiklust, von Sangeskunst im Kreise Uelzen? Ich weiß es: Wir sind hier in der Gegend einfach gesünder. Schon vor 100 Jahren - der Zeit, in der Männer sich häufiger (Vereinsgründungswelle, bei Sängern eben Männerchöre) - schon da. mals ahnten die Chorgründer was wir heute wissen, wissen schaftlich bewiesen bekommen haben: Indem wir Männer sin gen-machen wir es den Frauen nach. Genauer: Der ersten Frau im Leben. Die Mutterstimme hören wir bereits im Mutterleib - zusammen mit ihrem Herzrhythmus (26 - 28 Mill. mal) und mit ihrer unterschiedlichen Dynamik. Schläft sie, spielt diese frühe Musik ruhig, hastet sie die Treppen hoch oder streitet sich mit dem Vater ihres Kindes oder säuselt sie ihm Liebeslieder ins Ohr - dann ist auch in den Ohren eines Fetus im Mutterleib viel los und zwar laut (bis zu 95 Dezibel). Sowas vergißt sich ein Leben lang nicht. Wir wissen heute noch viel mehr. Späteres Sprechvermögen und Sprachstil wird vom frühen Singen geprägt. Und: Männer, die singen, also ihre Stimme anheben in höhere Frequenzen, sind grundsätzlich mutiger als andere Männer, die dies nicht tun. Jawoll, ja! - um im Kommisston von vor 100 Jahre zu singen. Außerdem ist Singen auch noch medizinisch gesund, bietet physiologisch messbare Kanäle für Aggressionen, die es loszuwerden gilt und bietet Ausdruck für Sehnsüchte, die wir (Männer) sonst nicht ausdrücken, eben nur singen können. Wir sind durchaus verwandt mit Piepmätzen, die auch nicht nur singen, sondern damit die Nachfolger ihrer Mütter herbeilocken...

Ach ja, das waren vor 100 Jahren in Hösseringen mutige Männer, die den „Frohsinn" gründeten. Noch mutiger waren die, die den Frauen dann auch die Mischung mit ihnen erlaubten (gemischte Chöre). Und am mutigsten sind die, die ihre politischen und sonstigen Ämter - mit Singen verbinden. Zumindest mit der Förderung des Singens, dieser Tätigkeit, von der Martin Luther. Theodor W. Adorno, Herbert von Karajan und Michael Jackson sinngemäß dasselbe sagen: Singen sei wohl der Vorgeschmack auf das, was wir als Engel immerzu dürften: Höher-Sein als auf dieser Erde.

13. Juni 2000